Dann rauchen die Schornsteine in Deutschland

Wie Reichskanzler von Papen Arbeitsplätze schaffen wollte

Geschichte wiederholt sich doch. Den Unternehmern müssen Steuern erlassen werden, dann rauchen die Schornsteine, weil sie das Geld in ihre Betriebe stecken. Von diesem Irrglauben ließen sich deutsche Politiker in der Vergangenheit mehrfach leiten. So in den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit zu Beginn der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts. Und auch damals warnten die Gewerkschaften vor dem Trugschluß.

"Dieser Plan ist eine unfaßbare Ungeheuerlichkeit." Entsetzt reagierte Fritz Tarnow, Wirtschaftsexperte des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), in dessen "Gewerkschafts-Zeitung" auf ein angekündigtes Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung. Mit den so heftig angegriffenen Verordnungen vom 4. und 5. September 1932 wollte Kanzler Franz von Papen Arbeitsplätze schaffen. Bei mehr als fünf Millionen Beschäftigungslosen im Jahr 1932 – in den ersten drei Monaten wurden in Deutschland sogar über sechs Millionen gezählt – hing von der Arbeitsbeschaffung die Zukunft der Regierung ab. Der schneidige Herrenreiter Papen, der zwar viel von Pferden verstand, aber die einfachsten wirtschaftlichen Fachausdrücke nicht auseinanderzuhalten wußte, schien deshalb vielen als der denkbar ungeeigneteste Nachfolger des am 30. Mai 1932 zurückgetretenen Heinrich Brüning. Aber während der Vorgänger auf eine aktive Beschäftigungspolitik verzichtet hatte, leitete Papen umfassende Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung ein.

Entgegen den Forderungen der Gewerkschaften wurde durch die Verordnungen vom 4. und 5. September 1932 die Arbeitslosigkeit nicht mit einer direkten Beschäftigungspolitik des Staates bekämpft. Statt dessen sah das Regierungsprogramm finanzielle Erleichterungen für die Unternehmer vor. Herzstück der Papenschen Wirtschaftspolitik war das sogenannte Steuergutscheinsystem. In der Notverordnung "zur Belebung der Wirtschaft" vom 4. September 1932 wurde bestimmt, daß für die vom 1. Oktober 1932 bis zum 30. September 1933 entrichteten Umsatz-, Gewerbe- und Grundsteuern Steuergutscheine in Höhe von 40 Prozent der eingezahlten Summe, für die Beförderungssteuer in voller Höhe durch die Finanzämter ausgegeben werden sollten. Die Gesamtsumme dieser Steuerrückvergütung schätzten die Wirtschaftsexperten im September 1932 auf etwa 1,5 Milliarden Reichsmark, im Vergleich dazu wirkte der geplante Reichshaushalt 1932/33 mit gut sechs Milliarden Umfang beinahe mickrig. Steuergutscheine gab es unter bestimmten Umständen auch für Neueinstellungen in einem Unternehmen. Für jeden zusätzlich Beschäftigten sollten die Betriebe vom 1. Oktober 1932 bis zum 30. September 1933 pro Vierteljahr einen Schein in Höhe von 100 Reichsmark erhalten. 700 Millionen Reichsmark wurden dafür verplant.

Die Steuergutscheine konnten in der Zeit vom 1. April 1934 bis zum 31. März 1939 zur Begleichung aller Reichssteuern mit Ausnahme der Einkommenssteuer verwendet werden, jedes Jahr zu 20 Prozent, um den Reichshaushalt gleichmäßig zu belasten. Bis zu ihrer Einlösung sollten die vielseitig verwendbaren Steuergutscheine – sie konnten auch an der Börse gehandelt werden – das Geldkapital in der Wirtschaft erhöhen. Arbeitsminister Hugo Schäffer betonte, daß der Steuernachlaß mit der "stillschweigenden Auflage beschwert (sei), daraus eine Kreditquelle für wirtschaftliche Zwecke zu machen". Und Reichskanzler Papen mahnte am 12. September 1932 in einer Rundfunkrede: "Wehe dem Unternehmertum, wenn es nur an eigenen Nutzen denkt und nicht an das große Ganze, wenn es jetzt nicht seine Stunde erkennt und die große Chance begreift, ... wenn es nicht wagt, sondern zurückhaltend nur wartet." Erfolgreich konnte das Papen- Programm nur sein, sofern die Empfänger der Steuergutscheine diese in der gewünschten Weise einsetzten, nämlich zur Finanzierung von zusätzlichen Bestellungen bei Lieferanten sowie von Investitionen.

Außer der Steuerrückerstattung und den Mehrbeschäftigungsprämien machte der Herrenreiter Papen den Arbeitgebern ein weiteres Geschenk, von dem er sich eine belebende Wirkung auf die Wirtschaft versprach. Die aufgrund der sozialpolitischen Generalermächtigung im zweiten Teil der Notverordnung vom 4. September 1932 am nächsten Tag erlassene Verordnung "zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit" bedeutete einen schweren Eingriff in das Arbeitsrecht zugunsten der Unternehmer. Diese wurden berechtigt, bei Neuanstellungen den Arbeitern den Tariflohn für die 31. bis 40. Wochenstunde je nach der Zahl der zusätzlich Beschäftigten bis zu 50 Prozent zu kürzen. Außerdem erhielten sie die Möglichkeit, wenn sie die Weiterführung eines Betriebes oder seine Wiederaufnahme infolge besonderer außerhalb des Einflusses des Arbeitgebers liegender Umstände durch die Erfüllung der tarifvertraglichen Verpflichtungen gefährdet sahen, beim Schlichter eine Ermächtigung für Lohnkürzungen zu beantragen. Die Höhe der Einkommensminderung mußte der Schlichter bestimmen. Sie konnte bis zu 20 Prozent des Tariflohns betragen. In der "Gewerkschafts-Zeitung" vom 3. Dezember 1932 resümierte der ADGB die Auswirkungen der Verordnung bis zum 22. November des Jahres. Demnach konnten Lohnkürzungen aufgrund von Neueinstellungen in 399 Betrieben mit 108869 Arbeitnehmern abgewehrt werden – überwiegend durch Verhandlungen. In 544 Betrieben mit 125018 Beschäftigten war das nicht gelungen.

Viele Arbeitnehmer hatten durch das Papen-Programm beträchtliche Einbußen ihrer Einkünfte hinnehmen müssen. Dazu kam, daß die versprochenen Erfolge der Regierungsmaßnahmen ausblieben. Zwar sanken die Arbeitslosenzahlen im Herbst etwas – was aber teilweise sicherlich auf die leichte Besserung der Weltwirtschaftslage zurückzuführen war – erreichten jedoch im Winter fast wieder das Vorjahresniveau.

Kurt von Schleicher, der Papen schon am 3. Dezember 1932 als Reichskanzler ablöste, machte den größten Teil der wirtschaftspolitischen Maßnahmen seines Vorgängers rückgängig und ging zur unmittelbaren Arbeitsbeschaffung über. Er erfüllte damit wesentliche Forderungen der Gewerkschaften.

Astrid Brand, 1999
Verwendung nur mit Zustimmung der Autorin