Ein offizielles Gründungsdatum hat die BRD nicht

Die langwierige Geburt endete am 20. September 1949

Zum Test der Akustik mußte ein Opernsänger nach Bonn reisen. Wenige Tage später, am 7. September 1949, hatte der Plenarsaal des Bundeshauses seine Bewährungsprobe zu bestehen: Der Deutsche Bundestag trat zu seiner ersten Sitzung zusammen. In Windeseile war das Gebäude entstanden, auch nachts und an den Wochenenden werkten die Bauleute, am Vortag des großen Ereignisses funktionierten die Neonröhren im Bundeshaus nicht, aber als sich die gewählten Abgeordneten versammelt hatten, lief alles glatt. Einige Monteure hingen aus einem Fenster im Lichtschacht, um live zu erleben, wie die Bundesrepublik Deutschland entstand.

Ein offizielles Gründungsdatum hat die BRD nicht. Der Bundestag bezeichnet auf seinen Seiten im Internet die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 als die "Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland". Aber diese Verfassung, deren Namen im geteilten Deutschland ihren provisorischen Charakter signalisieren sollte, war doch mehr die Idee eines Staates, eine Voraussetzung, nicht der Staat selbst. Außerdem war das Grundgesetz vom bayrischen Landtag nicht gebilligt worden. Die Bayern wollten mehr Rechte für die Länder, das Grundgesetz war ihnen zu zentralistisch. Und so erscheint es richtiger, von einer langwierigen Geburt auszugehen, und die Geburtsstunde auf den 20. September 1949 zu verlegen, als die Verfassungsorgane des neuen Staates sich konstituiert hatten.

Fünf ständige Verfassungsorgane sieht das Grundgesetz für den Staat vor: das Bundesverfassungsgericht, den Bundesrat, den Bundestag, die Bundesregierung und den Bundespräsidenten. Das Bundesverfassungsgericht wurde erst 1951 gegründet, seine Befugnis bei der Überprüfung einer Wahl übertrug das Grundgesetz bis dahin an das Deutsche Obergericht für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet. Das Obergericht war Revisionsinstanz, deren Entscheidungen mit keinem Rechtsmittel angefochten werden konnten. Die unabhängige Justiz funktionierte in den drei Westzonen sofort, nachdem die gesetzgebenden Organe und die Regierung des neuen Staates gebildet worden waren.

16 Parteien und 70 parteilose Einzelkämpfer wollten den neuen Staat gestalten und wetteiferten vor der ersten Bundestagswahl um die Gunst der Wähler. Gesittet ging es schon damals nicht immer zu, und an Werbematerial wurde auch nicht gespart, zahlungskräftig war vor allem die FDP. Ein pyrotechnischer Betrieb in Wuppertal machte gute Geschäfte mit Flugzettelbomben und Propagandaraketen, die dem Wahlvolk schriftliche Aufklärung vom Himmel brachten. Schließlich spitzte sich alles auf einen Zweikampf von CDU/CSU und SPD zu, aus dem die Christdemokraten und die Christlich-Sozialen als Sieger hervorgingen. Bei einer Wahlbeteiligung von 78,5 Prozent gewannen sie am 14. August 1949 unter der Führung von Konrad Adenauer 139 der 402 Mandate, die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten Kurt Schumacher bekamen 131 Sitze.

Am selben Tag wie der Bundestag trat in der Aula der Pädagogischen Akademie in Bonn der Bundesrat zusammen. Durch ihn wirkten die 11 Länder der drei Westzonen an der Gesetzgebung des Bundes mit. Bundestag und Bundesrat bildeten zusammen die paritätisch besetzte Bundesversammlung. Diese wählte am 12. September 1949 den Bundespräsidenten. Im Gespräch für dieses Amt war auch der spätere DGB-Vorsitzende Hans Böckler gewesen. Es kandidierten der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher, der Zentrumspolitiker Rudolf Amelunxen und der FDP-Vorsitzende Theodor Heuss, den Adenauer vorgeschlagen hatte. Im zweiten Wahlgang setzte sich Heuss durch.

Der Bundespräsident schlug dem Bundestag den CDU-Vorsitzenden Konrad Adenauer als Bundeskanzler vor. Bei der Abstimmung am 15. September 1949 erhielt der 73jährige mit 202 Stimmen die erforderliche Mehrheit. Er bildete eine Koalition aus den konservativen Parteien CDU/CSU und DP sowie der liberalen FDP, am 20. September wurde die Regierung vereidigt und der Kanzler gab seine Regierungserklärung ab. Die drei Gewalten des neuen Staates - Legislative, Exekutive und Judikative - waren komplett.

Die USA und Großbritannien hatten die Gründung des westdeutschen Staates gefördert und das widerstrebende Frankreich zum Einlenken gebracht. Mit den sogenannten Frankfurter Dokumenten übermittelten die Westalliierten ihre Bedingungen für die Staatsgründung, auch recht konkrete Anweisungen für den Aufbau gehörten dazu. Die Besatzungsherrschaft endete am 20. September 1949 nicht, sie wurde aber zurückhaltender ausgeübt. Am 21. September 1949 trat das Besatzungsstatut in Kraft, es bedeutete das Ende der Militärregierungen in Westdeutschland, beschränkte aber die Souveränität der Bundesrepublik. Dieser Zustand endete erst 1955.

Im Gegensatz zur BRD hat die DDR ein offizielles Gründungsdatum. Es ist der 7. Oktober 1949.

Astrid Brand, 1999
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