Der "Fingerzeig" in eine bessere Zukunft

In München entstand 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund

Weil bei Rundfunk und Presse das wichtige Ereignis für den frühen Abend des 13. Oktober 1949 angekündigt worden war, wurde die zentrale Entscheidung vorgezogen: "Der vom Gewerkschaftsrat einberufene Kongreß beschließt die Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland." Hierüber herrschte einstimmige Einigkeit bei den 487 Delegierten in München. Und während im Kongresssaal des Deutschen Museums die Kollegen "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" sangen, unterzeichneten die Mitglieder des Gewerkschaftsrates und die Vorsitzenden der 16 Gewerkschaften des eben entstandenen Bundes die Gründungsurkunde. Nicht ganz zutreffend wurde darin auch die "beschlossene Satzung" verkündet. Diese billigte der Kongress in ihrer Gesamtheit erst am nächsten Tag. Flexibel und undogmatisch präsentierten sich die Gewerkschaften in München, ihre Basis waren unumstrittene Grundsätze: das Bekenntnis zur Demokratie und zur Einheitsgewerkschaft.

Es waren zumeist Frauen und Männer im fortgeschrittenen Alter, die im vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer aufbauten. Sie kamen aus den Gewerkschaften der Weimarer Republik. Beim Gründungskongress des DGB betrug das Durchschnittsalter der Delegierten ungefähr 55 Jahre. Der dort zum Vorsitzenden gewählte Hans Böckler hatte den 74. Geburtstag schon hinter sich. Auf viele dieser Veteranen wirkten die Herausforderungen nach der sogenannten Stunde Null offensichtlich belebend. Über Böckler sagte ein Delegierter, er sei "viel jünger als mancher Sechzehnjährige", und das war als Kompliment vorgetragen. Aber die Junggebliebenen oder Verjüngten wollten die Jungen nicht zu kurz kommen lassen. Als viele Delegierte ein Vorstandsmitglied speziell für die Belange der Jugend wünschten, wurde der 34-Jährige Willi Ginhold für sie gewählt. Die Satzungskommission hatte ursprünglich 9 hauptamtliche Vorstandsmitglieder vorgesehen, zwei kamen auf Wunsch der Kongressmehrheit noch dazu. Im elfköpfigen Geschäftsführenden Vorstand war eine Frau: das CSU-Mitglied Thea Harmuth. "Stimmberechtigte Kolleginnen sind auf dem Kongress in der stolzen Zahl von 14 vertreten. Das sind 3,4 Prozent", heißt es im Protokoll. Eine Reaktion der Delegierten auf diese Feststellung ist nicht vermerkt.

Bis 1933 gab es in Deutschland sogenannte Richtungsgewerkschaften mit unterschiedlichen weltanschaulichen und politischen Orientierungen: am stärksten waren die sozialdemokratischen und die christlichen Organisationen. Hitler ließ die Richtungsgewerkschaften zerschlagen, viele ihrer Funktionäre gehören zu den Opfern des Nationalsozialismus. Das gemeinsame Schicksal verband. In der Zersplitterung erkannten die meisten Funktionäre einen Fehler, den sie beim Wiederaufbau unbedingt vermeiden wollten. Überall im besetzten Deutschland entstanden parteipolitisch unabhängige Einheitsgewerkschaften. Da sich aber die Besatzungsmächte nicht auf ein einheitliches Konzept für den Aufbau der Arbeitnehmerorganisationen einigen wollten, verlief die Entwicklung regional sehr unterschiedlich.

In der sowjetisch besetzten Zone wurde der gewerkschaftliche Wiederaufbau gefördert. Schon am 10. Juni 1945 erteilte die Sowjetische Militäradministration für Deutschland mit dem Befehl Nr. 2 die Erlaubnis zur Bildung von Arbeitnehmerorganisationen. Vom 9. bis 11. Februar 1946 tagte in Ost-Berlin der Gründungskongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Freude über den rasanten gewerkschaftlichen Wiederaufbau dürfte jedoch bei vielen getrübt gewesen sein. Mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht übernahmen die Kommunisten die Führungsrolle in der jungen Nachkriegsorganisation. Nur im geteilten Berlin setzten sie sich nicht durch. Nach langen Kämpfen der parteipolitischen Gruppen im örtlichen FDGB konstituierte sich am 14. August 1948 die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO). Auf dem Gründungskongress des DGB war sie als Gast vertreten. Bemühungen, eine gesamtdeutsche Gewerkschaftsbewegung zu schaffen, waren an den politischen Verhältnissen gescheitert.

Die Militärregierungen im Westen Deutschlands verlangten, die Gewerkschaften von unten nach oben aufzubauen. Die stufenweise Entwicklung sollte demokratische Strukturen in den gewerkschaftlichen Organisationen begünstigen. Das Misstrauen der Sieger gegenüber den Besiegten machte vor den Anhängern freier Gewerkschaften nicht halt, obwohl etliche von ihnen gegen das Naziregime auch aktiv Widerstand geleistet hatten. Für die Verfahrensvorschriften zur Bildung von Gewerkschaften brachten die Arbeitnehmervertreter deshalb nicht viel Verständnis auf, zumal häufig konservative Offiziere ihren Tatendrang bremsten. Nicht selten kam es vor, dass gewerkschaftliche Neugründungen von den Besatzungsmächten wieder aufgelöst wurden.

In der britischen Zone schätzten die Gewerkschafter ihre Arbeitsmöglichkeiten verhältnismäßig positiv ein, in der US-amerikanischen und besonders in der französischen hatten sie es sehr viel schwerer. Vor allem überregionale Aktivitäten der Arbeitnehmervertretungen blockierten die Besatzungsmächte in Westdeutschland. Der erste gewerkschaftliche Zusammenschluss in einem Land entstand deshalb erst am 24. August 1946. Es war der Freie Gewerkschaftsbund Hessen. Nur im britisch besetzten Gebiet gelang der Zusammenschluss auf der Ebene einer Zone. Bis zum 18. Juli 1947 entstanden sieben Gewerkschaftsbünde. Als gemeinsames Gremium konstituierten sie den Gewerkschaftsrat. Vor der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschlossen die sieben Dachorganisationen ihre Auflösung.

Die 16 Gewerkschaften im neugegründeten DGB organisierten ihre knapp fünf Millionen Mitglieder nach dem Industrieverbandsprinzip, es galt die Devise: ein Betrieb - eine Gewerkschaft. Das Prinzip war umstritten, der Berufsverband hatte vor allem bei Angestellten und Beamten noch viele Anhänger. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft schloss sich deshalb 1949 dem DGB nicht an.

Hans Böckler, der erste DGB-Vorsitzende, benannte auf dem Kongress das Ziel der gemeinsamen Arbeit: "Die hier vertretenen Gewerkschaften sehen ihre Aufgabe in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ausschließlich in der Beseitigung jeder sozialen Not durch Herbeiführung menschenwürdiger Arbeits- und Lebensbedingungen für alle schaffenden Menschen." Das war unideologisch formuliert, aber unpolitisch wollte der DGB nicht sein, nur parteipolitisch unabhängig. Seine Standortbestimmung wurde stark geprägt durch die Ereignisse des Jahres 1933, als mit der Weimarer Republik auch die zersplitterte Gewerkschaftsbewegung zerschlagen wurde. Der Vorsitzende betonte: "In einem freilich wird man die Gewerkschaften zum Äußersten entschlossen finden: In der Verteidigung der demokratischen Einrichtungen, auf denen unser aller Wohl beruht, gegen jede Autokratie und gegen jede Totalität."

Von der Bundesregierung erhielt der Deutsche Gewerkschaftsbund gute Worte mit auf den Weg. Anton Storch, der Bundesminister für Arbeit, vertrat in München den Bundeskanzler Konrad Adenauer. In seiner Rede auf dem Gründungskongress wandte sich der Minister, der aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung kam, direkt an die Delegierten: "Seien Sie sich klar darüber, unser armes, gequältes Volk erwartet von dieser neuen machtvollen Organisation den Fingerzeig und die Richtung, die es in eine bessere Zukunft hineinführt."

Astrid Brand, 1999
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